Online Shaming

PRO

Es gibt Opfern eine Stimme

Viele Opfer von Grenzüberschreitungen sehen sich nicht in der Lage, gegen Täter oder Institutionen vorzugehen. Scham, Angst um ihre Sicherheit oder schlicht fehlende gesetzliche Abdeckung können Hinderungsgründe für rechtliche Verfahren darstellen. So fühlen sich Opfer mit ihren Erfahrungen und deren Folgen oft alleingelassen und nicht gehört. Online Shaming kann helfen, diesen Opfern Unterstützung zu bieten und Personen zusammenzubringen, welche ähnliche Erfahrungen gemacht haben. So werden Hemmungen abgebaut und Opfern das Selbstvertrauen gegeben, ihre Erfahrungen zu teilen. Im Mittelpunkt dieser Art des „Shamings“ stehen dabei selten konkrete Täter, sondern übergreifende Missstände.

Das wohl bekannteste Beispiel dieses Phänomens ist wohl die von der Aktivistin Tarana Burke ins Leben gerufene MeToo-Bewegung, welche im Zuge des Weinstein-Skandals als Hashtag erneut auflebte. Mit zunehmender Beliebtheit des Hashtags fühlten sich mehr und mehr Menschen dazu ermutigt, ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung zu teilen und gegebenenfalls auch rechtliche Schritte einzuleiten.

Es zieht „Täter“ zur Verantwortung

In Bezug auf Online Shaming wird oft von der unverhältnismäßig harschen Verurteilung unüberlegter Aussagen und unglücklichen Verhaltens von Zivilpersonen gesprochen. Jedoch kann das Anprangern von Fehlverhalten durchaus von öffentlichem Interesse sein – zum Beispiel, wenn es sich bei dem „Täter“ um eine öffentliche Person handelt. Personen des öffentlichen Lebens fällt ein gewisser Einfluss und damit auch eine gewisse Vorbildfunktion zu. So tragen im Falle eines Fehlverhaltens die Verantwortung, öffentlich dazu Stellung zu beziehen, und sich gegebenenfalls weiteren Konsequenzen zu stellen. Online Shaming kann dabei als Werkzeug dienen, die Öffentlichkeit über ein solches Fehlverhalten zu informieren und den „Täter“ in die Verantwortung zu nehmen.

Die Beispiele für diesen Mechanismus sind vielfältig. So wurde beispielsweise ein altes Foto von Justin Trudeau öffentlich, welches ihn in einem Brownface-Kostüm zeigte. Der kanadische Präsident nahm in Antwort auf die öffentliche Empörung umgehen Stellung zu dem Bild und entschuldigte sich für den Fehltritt. Auch drastischere Fälle mit rechtlichen Konsequenzen, wie die Enthüllung der Identität des rechtsextremen Bloggers und Podcasters Michael Peinovich, wurden durch Online Shaming angetrieben.

Es hat eine Lenkungsfunktion

Online Shaming kann jedoch nicht nur für vergangenes Verhalten verantwortlich machen, sondern auch künftiges Verhalten lenken. Für Gesetzesverstöße wird diese Funktion von zu erwartenden Strafen erfüllt. Für Fehlstöße, die außerhalb des rechtlich verfolgbaren Rahmens liegen, aber dennoch als gesellschaftlich inakzeptabel oder zumindest unerwünscht gelten, kann Online Shaming eine effektive Abschreckung darstellen.

So kann die Angst vor öffentlicher Verurteilung als ein Filter für unüberlegte und potentiell beleidigende Aussagen, insbesondere auf den sozialen Medien, dienen. Nach dem gleichen Mechanismus gelenkt werden können Verhaltensweisen, wie das Liegenlassen von Müll, welches vermehrt auf sozialen Medien dokumentiert und angeprangert wird. Für das Shaming von Flugreisen aufgrund des hohen CO2-Ausstoßes hat sich sogar ein eigener Begriff entwickelt – flight shaming. 

Es regt den öffentlichen Diskurs an

Durch das Erreichen einer breiten Masse, kann Online Shaming starken Einfluss auf den öffentlichen Diskurs nehmen. So dient das Publikwerden eines spezifischen Falls oft als Aufhänger für die Diskussion der zugrundeliegenden Probleme. Die durch Online Shaming vermittelte Anschaulichkeit und Emotionalität kann so helfen, Themen in den öffentlichen Diskurs zu bringen, welche andernfalls nie ein breites Publikum erreicht hätten.

So stoß das Erschießen des Löwens „Cecil“ durch einen amerikanischen Zahnarzt eine erhitzte Debatte um den Schutz von Wildtieren, sowie um die Moralität von „Trophy Hunting“ an. Auch die öffentliche Diskussion von sexueller Belästigung, insbesondere am Arbeitsplatz, nahm durch die schiere Masse der bereits erwähnten #MeToo-Posts erneut Fahrt auf. Sie inspirierte zudem weitere Aktionen, wie die Gründung der Time’s Up Initiative zur rechtlichen Unterstützung von Opfern sexueller Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz.

Es ist ein wirtschaftliches und politisches Druckmittel

Online Shaming kann nicht nur das Verhalten von Einzelpersonen beeinflussen, sondern auch das von Unternehmen oder sogar politischen Institutionen. Wird die Öffentlichkeit durch verbreitetes Online Shaming auf Missstände aufmerksam, kann dies verheerende Konsequenzen für die betroffene Instanz haben. Für Unternehmen kann ein angeschlagener Ruf zu enormen Profiteinbußen und schlimmstenfalls sogar zu einem Wertverlust führen. Für politische Instanzen, wie etwa Parteien oder Regierungen, kann ein Skandal den Verlust von öffentlicher Unterstützung und von Chancen auf eine Wiederwahl bedeuten. 

Beispiele für diesen Mechanismus gibt es reichlich. So wurde 2014 bekannt, dass die britische Supermarktkette TESCO in weiten Teilen mit Meeresfrüchten beliefert wurde, welche in Thailand unter unmenschlichen Bedingungen hergestellt wurden. Der Skandal fand unter anderem unter dem Hashtag #SeafoodNotSlavefood Verbreitung in sozialen Netzwerken. Schließlich wurde der Druck der öffentlichen Empörung so groß, dass TESCO sich zu einer sklavereifreien Supply Chain verpflichtete. 

Auch Thailand selbst spürte den öffentlichen Druck. Kurz nachdem der Skandal öffentlich wurde, fand ein UN-Votum zu einem neuen Abkommen zum Verbot von Zwangsarbeit statt. Während Thailand das Abkommen zunächst ablehnte, stimmte es aufgrund der enormen öffentlichen Empörung schließlich doch zu. 

Linkliste

https://www.bloomberg.com/opinion/articles/2017-12-04/social-media-shaming-is-good-in-moderation

http://theconversation.com/the-power-of-public-shaming-for-good-and-for-ill-38920

https://www.highspeedinternet.com/resources/when-online-shaming-actually-makes-the-world-a-better-place

https://www.wired.co.uk/article/public-shaming

https://www.troyhunt.com/the-effectiveness-of-publicly-shaming-bad-security/

https://www.researchgate.net/profile/Costas_Panagopoulos/publication/225574727_Affect_Social_Pressure_and_Prosocial_Motivation_Field_Experimental_Evidence_of_the_Mobilizing_Effects_of_Pride_Shame_and_Publicizing_Voting_Behavior/links/00b7d51eee8e95913b000000/Affect-Social-Pressure-and-Prosocial-Motivation-Field-Experimental-Evidence-of-the-Mobilizing-Effects-of-Pride-Shame-and-Publicizing-Voting-Behavior.pdf

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4122080/